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Weilheim – Die Gegner waren ja schon am Anfang ratlos und verzweifelt. Sie wussten nicht, was sie mit einem anfangen sollten, der aus anderen Sphären kommt, der so weit weg von dem Basketball groß geworden ist, den sie hier praktizieren. Ihnen fiel nichts anderes ein, als Sebastian Betz zu foulen. Teilweise ziemlich rüde. Allein in den ersten zwei Spielen sammelte Weilheims Neuer 25 Freiwürfe in 60 Spielminuten. Beinahe jede zweite Minute ein Freiwurf, das ist ein aberwitziger Wert. Mit eingerechnet ist noch nicht einmal ein Bonus bei den Schiedsrichtern, der einem ehemaligen Bundesligaprofi eigentlich zustehen sollte. „Ich glaube, ich habe keine Lobby bei den Schiedsrichtern“, sagt Basti Betz. Wahrscheinlich geht es den Referees wie den Gegnern. Sie rätseln, wer dieser Mann mit dem Zopf ist und warum der auf einmal die 2. Regionalliga dominiert. Wo sie den Namen in diesen Klassen doch noch nie gehört haben.
Seit sechs Jahren hat Sebastian Betz nicht mehr Basketball gespielt. Und gar nicht bedeutet gar nicht. Allerlei Restaurationsarbeiten am eigenen Körper waren zu verrichten. Knie, Sprunggelenk, zuletzt die Achillessehne, schon die letzten Jahre seiner Karriere waren geprägt von Verschleiß und Operationen. Es ist der Preis, den man für 13 Profijahre in Erster und Zweiter Bundesliga zahlt. „Der Körper hat gesagt, es geht nicht mehr auf diesem Niveau“, erklärt der Weilheimer. 2017 beendete er in Würzburg seine Karriere. Man muss die Frage schon einmal stellen: Wieso tut ein Basti Betz sich das jetzt mit 38 Jahren nochmals an? Unten in der 2. Regionalliga, fünfte Spielklasse im Land, gehobener Amateurbereich zwar, aber doch noch Hobbysport. „Ich hab’s einfach vermisst“, sagt er.
Sebastian Betz hat ein neues Leben begonnen. Hauptberuflich beschäftigt er sich nun mit IT-Beratung bei „MHP“, Geldgeber des Ludwigsburger Erstligateams. Das geht von zuhause aus – und das ist derzeit wieder Weilheim. Gemeinsam mit seiner Freundin zog er zurück in die Heimat. Sie ist Lehrerin, wurde erst nach Icking, anschließend nach Landsberg versetzt. Im Februar wissen sie dann, wo sie dauerhaft angestellt sein wird. Eine Schule irgendwo im Süden Münchens wünschen sich die Zwei, damit sie wieder ein Stück näher an die Stadt rücken. Basketball ist für Basti Betz nur noch Hobby – und trotzdem nicht wegzudenken. „Er ist einer der wenigen, der immer in der Halle steht“, sagt sein Trainer Max Kihm. Schwer zu erklären ist das nicht, wenn man Betz fragt. Früher habe er zehn bis zwölf Einheiten pro Woche zu absolvieren gehabt. Nun in Weilheim zwei. Einen „schönen Ausgleich zum Beruf“ sieht er im Basketball. Nur weil der Mann 38 Jahre alt ist, wird er nicht plötzlich faul. Trainingsfleißig war er immer schon. „Ich habe viel über den Einsatz gemacht“, sagt er. Warum sollte er diese Eigenschaft im Alter verlieren?
Für Team und Trainer erweist sich der Ex-Profi als Glücksgriff. „Es gibt keinen Spieler, der einfacher zu coachen ist. Für mich ist das ein Traum. Ich kann von ihm lernen“, sagt Coach Max Kihm. Betz wiederum erfreut sich an der Rolle des Mentors. Er könne den Jungen etwas mitgeben, der Erfahrungsschatz ist reichhaltig nach einem Jahrzehnt auf höchstem Level in Deutschland. Und da spricht noch niemand über seinen Wert auf dem Feld. Gewiss, räumt er selbst ein, braucht’s noch ein paar Wochen, bis er sich an alte Zeiten herantastet. Basti Betz ist Weilheims Rennwagen, der jahrelang in der staubigen Garage stand. Man sieht’s an kleinen Dingen, an Dreiern, die knapp neben dem Ziel landen, an Pässen, die er falsch adressiert, auch weil er sein Leben lang Profis neben sich gewohnt war. „Der Rhythmus ist noch nicht da. Es wird dauern. Das hier ist ein ganz anderes Spiel“, erklärt Basti Betz. Dennoch war er in beiden bisherigen Spielen Top-Scorer des TSV. Da kann sich die Regionalliga auf etwas gefasst machen, wenn der 38-Jährige wieder rund läuft.
Die alte Welt ist längst entrückt. Nein, er vermisst eigentlich nichts, sagt Basti Betz. Lange genug habe er das gemacht. Es waren schöne Zeiten, Deutscher Vizemeister mit Ulm, Europacup, Aufstieg mit Würzburg, alles dabei. Dennoch war er angekettet an den jeweiligen Klub, von August bis Mai. Saison für Saison. „Ich bin froh, dass ich meinen Alltag habe“, sagt der Weilheimer, der parallel zum Profi-Dasein Ausbildung und Studium absolviert hat. Ein zweites Leben im Basketball, als Trainer oder Individualcoach, schloss er kategorisch aus, nennt es „eine brotlose Kunst“. In ein paar Jahren könnte er sich vorstellen, ein Nachwuchsteam zu übernehmen, in Weilheim, wo alles angefangen hat. Davor sehen die Wochenenden aber noch wie folgt aus: Samstag Basketball in der Regionalliga, Sonntag Besuche beim Handball in Herrsching. Seine Freundin spielt dort in der Landesliga. Wochenenden ohne Halle gibt es nach wie vor nicht. Basti Betz scherzt: „Wirklich losgeworden bin ich’s nicht.“
Quelle: Weilheimer Tagblatt, verfasst am 09.11.2023